Personenmarke: Was Einzelhändler UND Konzernchefs vom „Dealer“ lernen können

Geschäftserfolg mit Facebook und persönlicher Vernetzung – ein Best-Practice-Interview

Rolf Schuermann

Personenmarke und Wiedererkennungswert: „Guck mal, da hinten, der Typ mit der verrückten Brille, das ist der Rolli von ‚Wat läuft’!“

Wir befinden uns im Jahr 2015, mitten im digitalen Wandel. Der stationäre Einzelhandel fühlt sich durch das Internet bedroht. Der ganze Einzelhandel? Nein! Der Inhaber eines kleinen Laufladens in Bochum-Wattenscheid hat eine riesige Community um sich geschart, die bis nach Neukaledonien reicht. Begeisterte Laufsportler kommen eigens aus Berlin, Frankfurt oder den Benelux-Staaten angereist, um sich bei Rolf „Rolli“ Schürmann (genannt „der Dealer“) einzudecken. „Facebook ist Gold wert“, meint der Fachhändler, und: „Ohne das Internet wäre ich nicht so erfolgreich.“ Ich habe ihn dazu telefonisch interviewt, wie er sein Geschäft „Wat läuft“ in Bochum-Wattenscheid mit persönlicher und virtueller Vernetzung zu Bekanntheit und wirtschaftlichem Erfolg geführt hat: Best Practice nicht nur für Einzelhändler, sondern auch für alle anderen Unternehmer. Selbst Konzernchefs können vom „Dealer“ lernen, wie wichtig die eigene Personenmarke für beruflichen und unternehmerischen Erfolg ist.*

Frage: Fühlst du dich als Einzelhändler durch das Internet und durch Onlineshops bedroht?

Rolf Schürmann: Gar nicht. Im Gegenteil. Ich fühle mich durch das Internet nicht bedroht, sondern beflügelt. Ich nutze Social Media, besonders Facebook, um sichtbar und präsent zu sein. Ehrlich gesagt interessiert es mich nicht sehr, was andere Händler machen, weder in anderen Läden noch im Internet. Ich mache meins und gucke, ob ich andere Leute damit begeistere. So war ich aber schon immer, auch in meiner Zeit als Einkäufer in der Textilindustrie: „Junge, bleib am Ball, zeig Ehrgeiz!“ – Das habe ich früh gelernt. Dann kam das mit dem Laufladen und der Selbstständigkeit. So wäre ich auch, wenn ich ein Restaurant hätte oder einen Bootsverleih.

Frage: Wann immer jemand in meinen Laufgruppen auf Facebook eine Frage zu Schuhen und Ausrüstungen stellt, sagt eher früher als später einer: „Frag doch mal den ‚Dealer’!“ Wie kam es zu dieser Bezeichnung?

Rolf Schürmann: Das ist scherzhaft entstanden. Ich habe halt Dinge im Angebot, auf die viele Läufer lange gewartet haben. Beispielsweise Laufschuh-Marken, an die sich selbst große Ketten nicht herantrauen. Oder spezielle Ausrüstung für Ultraläufer. Wenn jemand woanders etwas nicht bekommt, dann heißt es eben oft: „Was andere nicht haben, der Dealer hat’s! Und wenn nicht, dann kann er es besorgen.“ Das freut mich natürlich.

Frage: Stichwort Sortiment: Ein Teil deiner Bekanntheit in Läuferkreisen beruht sicherlich darauf, dass du etwa Schuhe für Ultraläufer anbietest, die es sonst kaum „offline“ gibt. Wie schätzt du die Bedeutung des Sortiments für deinen Erfolg ein?

Rolf Schürmann: Auf jeden Fall. Es ist sehr wichtig, sich als einzelner Anbieter von anderen abzuheben, damit man nicht austauschbar ist. Ich bin in die Selbstständigkeit mit ziemlich viel Mut zum Risiko gestartet, indem ich die Produkte ausgesucht habe, die ich selbst nicht oder allenfalls online gefunden habe.  Aber Sportschuhe will man ja anprobieren, Ausrüstung anfassen. Da passiert es, dass sich jemand in Berlin – wo es ja nun wirklich viele tolle Stores gibt – in den Zug nach Bochum setzt, weil er bei mir in einer halben Stunde alles zusammenhat, was er braucht.

Ich habe inzwischen übrigens schon öfter gehört, dass die großen Ketten genau beobachten, was der kleine Rolli da in Wattenscheid macht, bevor sie sich trauen, eine neue Marke oder ein besonderes Produkt in ihr Sortiment zu nehmen.

Frage: Kürzlich habe ich gesehen, dass du einen Account bei Instagram angelegt hast. Kurz darauf hattest du bereits 78 Follower – ohne dass du ein einziges Foto gepostet hättest oder einem Einzigen zurückgefolgt bist. Wie erklärst du dir das?

Rolf Schürmann: Das weiß ich, ehrlich gesagt, auch nicht. Ich habe mich da einfach mal angemeldet, aber noch gar nicht weiter etwas gemacht. Wahrscheinlich erwarten die Leute, dass ich da auch so verrückte Sachen mache wie auf Facebook. Und dass sie dort als erstes Fotos von neuen Produkten sehen, die es erst in der nächsten Saison gibt.

Frage: Allgemein sagt man ja, dass Produktwerbung in sozialen Netzwerken – bis auf wenige Ausnahmen – nicht gut läuft. Das ist also bei dir anders?

Rolf Schürmann: Ja, genau andersherum. Meine Community weiß halt, dass ich von Messen oder Herstellern Fotos mitbringe, die sie anderswo erst im nächsten Jahr bekommen. Bei mir erfahren sie als erste davon. Aber auch wenn ich zum Beispiel auf meiner Facebook-Seite poste, dass ich einen neuen Sportschuh hereinbekommen habe, dann habe ich damit schon direkt vier oder fünf Paar verkauft.

Frage: Du hast keinen Online-Shop, keine Internet-Kataloge. Aber man sieht deine Produkte auf deiner Fanpage und kann bei dir trotzdem direkt via Internet bestellen …

Rolf Schürmann: Ja, die Leute melden sich per Facebook-Privatnachricht, E-Mail oder Telefon. Ich versende dann auf Rechnung. Ich vertraue meinen Kunden. Läufer betrügen sich nicht untereinander, und man sieht sich immer mindestens zweimal. Das gegenseitige Vertrauen ist für mich ganz wichtig.

Frage: Du bist auch im realen Läuferleben sehr präsent, besuchst beispielsweise sehr viele Laufveranstaltungen. Für wie wichtig hältst du das in Relation zur Präsenz im Social Web?

Rolf Schürmann: Für sehr, sehr wichtig. Man trifft sich. Man kommt ins Gespräch. Oder jemand sagt zu einem anderen: „Guck mal, da hinten, der Typ mit der verrückten Brille, das ist der Rolli von ‚Wat läuft’, frag den doch mal.“ Ich weise dann auch darauf hin, dass er weitere Informationen auf meiner Facebook-Seite findet. So spricht sich das immer mehr herum, und die Community wächst.

Ich unterstütze auch Veranstaltungen mit Material oder mit Ausrüstung. Oder ich stifte mal die Getränke für einen besonderen Lauf. Ich mache  selbst viele Aktionen und Events. Das ist ein Geben und Nehmen. Ich gebe etwas, und es kommt immer etwas zurück. Aber selbst wenn nicht: Das macht man ja einfach gerne.  Ich will natürlich Umsatz machen, aber ich bin halt kein typischer Verkäufer.

Frage: … sondern?

Rolf Schürmann: Ich behandle alle Leute gleich – egal ob es ein bekannter Läufer ist oder jemand, der gerade nicht so viel Geld hat. Ich zeige meinen Kunden: „Ich bin einer von euch. Ich bin auf eurer Seite.“ Dazu gehört auch, dass ich nicht um jeden Preis verkaufe. Zum Beispiel neue Laufschuhe, wenn die alten noch gut sind. Neulich habe ich zu jemandem gesagt: „Deine sind noch gut. Lauf damit nochmal tausend Kilometer, und wenn du dann welche brauchst, komm wieder.“ Oder jemand kommt mit Kniebeschwerden und will einen Schuh, den ich für ungeeignet halte. Den verkaufe ich ihm nicht.

Ich sehe auch nicht aus wie ein typischer Läufer. Mein Style, den ich im Laden trage, ist eher so ausgefallen-flippig-modern, nicht mit zur Schau getragenen Sportklamotten. Ich habe auch eher fünf, sechs Kilo zuviel. Aber wenn ich bei einem Lauf mitmache, dann komme ich normalerweise auch an, und zwar in einer vernünftigen Zeit.

Frage: Für wie wichtig hältst du deine Personenmarke?

Für sehr wichtig. Die Leute kennen mein Gesicht und meine ausgefallenen Brillen, und ich bekenne auch im Internet Farbe. Mir sagen Leute öfter: „Mach doch endlich mal einen Laden in Berlin auf!“ Oder: „Du wirst in der Südpfalz gebraucht.“ Aber da haben mir Freunde schnell klargemacht, dass das Konzept nur mit mir als Person funktioniert. Nur wo Rolli im Laden steht, ist auch „Wat läuft“ drin.

Frage: Nimmst du jede Facebook-Freundschaft an?

Rolf Schürmann: Nein!!! Jetzt mal abgesehen von richtigen Spam-Anfragen: Wenn mir jemand nicht bekannt vorkommt, schaue ich, ob wir gemeinsame Bekannte haben. Manche Personen, die kennt man, aber die sind einem nicht so sympathisch – vielleicht hat man mit ihrem Verein mal nicht so gute Erfahrungen gemacht. Auch wenn das sicher nicht viele sind. Oder Leute mit eigenartigen politischen oder religiösen Ansichten. Das fällt ja auf einen zurück. Ich muss nicht jeden annehmen, den ich gar nicht kenne. Dafür gibt es die Facebook-Seite. Aber natürlich habe ich mit der Zeit schon eine große Community bekommen, auch über mein Profil. Das bleibt ja gar nicht aus, allein schon bei den vielen persönlichen Kontakten.

Frage: Mir hat kürzlich ein Einzelhändler, der ebenfalls wie du ein besonderes Sortiment und eine besondere Philosophie hat, gesagt, er wolle auf Facebook lieber privat bleiben und auch mit seinem persönlichen Profil keine Kunden als „Freunde“ annehmen. Was würdest du ihm antworten?

Rolf Schürmann: Da macht er was falsch. Facebook ist Gold wert. Einfacher kann man Sichtbarkeit gar nicht aufbauen.

Frage: Was würdest du einem Einzelhändler raten, der darüber klagt, dass das Internet und die Onlineshops sein Geschäft ruinieren?

Rolf Schürmann: (lacht) Also, den Mitbewerbern würde ich sagen: „Macht bitte genauso weiter wie bisher!“ – Nein, mal im Ernst: Man sollte sich überlegen, was einen einzigartig macht. Exklusivität aufbauen. Man braucht das richtige Sortiment. Aber man muss auch wissen, wie man die Begierde weckt, nur dort zu kaufen. Zum Beispiel mit originellen Aktionen. Mit richtig guter Beratung. Es geht darum, Beziehungen aufzubauen. Zu zeigen: „Ich bin so wie ihr.“ Wer wirklich erfolgreich sein will, der darf nicht bei jedem Kunden gleich die Dollarzeichen in den Augen haben und um jeden Preis möglichst viel verkaufen wollen. Du willst nicht nur sein Geld. Du willst, dass er mit dem Gekauften Freude hat, dass er wiederkommt und dass er es weitersagt.

Dr. Kerstin Hoffmann
8 Kommentare
  1. Oliver Frenkel sagte:

    Sehr sympathisches, informatives und persönliches Interview. Da hat jemand seine BI gefunden und lebt diese. Toll, vor allem das Netz als Chance zu sehen und nicht zu jammern. Alles hat seine Zeit, und die heutige und kommende hat für uns alle immer eine Chance im Gepäck. Danke und mehr davon…

    So Long! Oliver Frenkel alias O.F 7.1

  2. Torsten sagte:

    Prima Beitrag, der ein wichtiges Thema trifft. Mancher Einzelhändler beginnt zu resignieren, was natürlich unangebracht ist. Viele Händler haben eine über Jahre hinweg gewachsene Fachkompetenz und Glaubwürdigkeit, diese in die sozialen Netze zu übertragen ist die Aufgabe der kommenden Monate und Jahre.

    Jedem Einzelhändler der resignieren möchte, sei dieser Beitrag herzlich empfohlen!

  3. Helmut Frey sagte:

    Nicht umsonst hab ich auch meine besten Laufschuhe beim „Dealer“ bestellt. Selbst online klappt das mit ihm besser als mit manchen anderem Einzelhändler in echt! ;-)

  4. Jürgen Zirbik sagte:

    Genau mit so einem Typen geht das. Und es geht, weil er alleine ist, schnell entscheidet und keine Abstimmung benötigt. Weder Konzernchefs noch die meisten Einzelhändler sind so. Deshalb können genau diese von „Dealer“ nicht lernen – Sie sollten es auch nicht. Sein Erfolg steht und fällt mit Authentizität. Die gibt es im klassischen Marketing nicht wirklich – dort herrscht Schein vor, nicht sein. Ich stelle mir gerade vor, wie ein Konzern oder pomadiger Einzelhändler Ähnliches versucht… Nö, klappt nicht!

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