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„Tribes“ in Messengern: Sind Mikro-Netzwerke die neuen Social Media?

Mit den umfassenden Erweiterungen des Messengers (Stand: März 2015) habe Mark Zuckerberg den Abgesang seines eigenen Facebook eingeleitet, heißt es derzeit häufig. Dabei reagiert Facebook meiner Ansicht nach nur auf die Entwicklung zu Mikronetzwerken, also selbstorganisierten Kleingruppen. Dies hat Matthew Bryan Beck bereits 2014 in seinem Artikel „The Future of Social Media Is Mobile Tribes“ beschrieben. Geht die Entwicklung also weg von den großen Plattformen hin zu „Tribes“ (wörtlich übersetzt: Stämme) in Messengern? 

Menschen neigen zu exklusiven Kreisen

Tatsächlich hat es im Grunde noch nie das eine große Social Web beziehungsweise jeweils die großen Plattformen gegeben, auf denen sich alle User gleichermaßen zentral austauschten. Ein Großteil des Austauschs in der digitalen Welt ist – ähnlich wie bei physischen Treffen – niemals für die Allgemeinheit sichtbar. Menschen neigen nun einmal dazu, sich in geschützten Räumen und in geschützten Kreisen zusammenzufinden. Die Identifikation über gemeinsame Interessen und Meinungen bedient dabei eines der stärksten menschlichen Bedürfnisse: dazugehören wollen. Oft kommt das Bewusstsein einer gewissen Exklusivität hinzu.

Was Facebook betrifft: Man braucht sich nur einmal in einigen geschlossenen Gruppen auf Facebook umzusehen, in denen oft ganz eigene Regeln gelten, die von den Admins selbst festgelegt werden.

Überall dort, wo Menschen sich besonders geschützt und exklusiv fühlen, geben sie mehr von sich preis als öffentlich, und sie entwickeln eine hohe Bindung an die Gruppe und an die einzelnen Gleichgesinnten. Wer sich in einer privat und einzeln zusammengefunden Gruppe im Messenger austauscht, verhält sich den anderen Mitgliedern gegenüber anders als zu virtuellen Bekanntschaften auf einer großen Plattform.

Messenger sind kaum noch optional

Ein Tribe kann sich aus virtuellen Zufallsbekanntschaften entwickeln. Häufig besteht er jedoch auch aus Personen, die sich über gemeinsame Interessen oder andere Gemeinsamkeiten zusammengefunden haben – von der Gruppe Studierender über die Familie bis zum Sportverein.

Heute ist fast jede*r nahezu gezwungen, in Messengergruppen mitzumachen, um an bestimmten Dynamiken teilzuhaben und bestimmte Informationen zu erhalten – ob es nun der Verein, die Elterngruppe oder das Organisationsteam für eine Jubiläumsfeier ist. Auch Teams in Unternehmen tauschen sich häufig abseits der offiziellen Informationswege via Messenger aus, ob dies nun erlaubt ist. Fast jede Interessengemeinschaft bildet heute Messenger-Gruppen. Oft wird hierzu gar nicht der Facebook-Messenger genutzt, sondern das ebenfalls zum Facebook-Universum gehörende WhatsApp, oder andere Apps wie Signal oder Threema.

Die Flucht der Tribes vor der Reklame

Zugleich fliehen Menschen vor der Informationsüberflutung und der Werbung auf den großen Plattformen in ihre Mikronetzwerke.

Folgerichtig setzt die noch junge Disziplin des Messenger-Marketings auf den bekannten „Pull“: Sie macht es mittels Sharing-Buttons den Betreffenden einfach, Links zu interessanten Inhalten an ihre direkten Kontakte weiterzugeben. Auf diese Weise werden also Empfehlungen nahegelegt und vereinfacht. Schon werden daher auch Bedenken laut und gilt es, den rechtlichen Rahmen des erlaubten abzustecken (wie Thomas Schwenke dies hier in einer juristischen Betrachtung des Messenger-Marketings vornimmt).

In dem Maße jedoch, in dem sich Menschen weiter in die Welt des direkten Austauschs über Messenger zurückziehen, werden natürlich die Anbieter, Marketer und Werber versuchen, ihnen hinterherzukommen. Push-Anzeigen sind denkbar. Die Möglichkeiten des Targetings aufgrund persönlicher Daten – etwa der Location oder vielleicht sogar anhand der Auswertung der Nachrichten-Inhalte – sind noch lange nicht ausgeschöpft. Datenschutzbedenken sind hier angezeigt. Wie überall in der digitalen Welt sollte jede*r sich genau überlegen, welche Informationen er oder sie freigibt und welchen Zugriff sie den Apps gewähren.

Was bedeutet das für Werbung und Marketing?

Werbung wird – und das gilt für alle digitalen Plattformen – zumeist in einem gewissen Ausmaß toleriert, etwa dort, wo Menschen sich einer Marke verbunden fühlen oder sich mit gelegentlichen Anzeigen ein ansonsten kostenfreies Angebot erkaufen. Zunehmend sind Menschen jedoch auch bereit, für Werbefreiheit mit Geld zu bezahlen. Das bedeutet auch: Social-Media-Marketing wird auf mittlere Sicht deutlich teurer werden, weil bisherige Methoden von Targeting und Distribution nicht mehr funktionieren.

Mehr denn je werden hochwertige Inhalte und nützliche Funktionen darüber entscheiden, was zu teilen beziehungsweise zu nutzen Menschen sich selbst entscheiden. Wer innerhalb einer umfassenden Contentstrategie klaren Nutzen bietet, wer Teilenswertes bereitstellt, wird Erfolg haben.

Dr. Kerstin Hoffmann
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