Der Elefant im Zoom

Der Elefant im Zoom: Was ich im digitalen Raum für die Strategiearbeit gelernt habe

Noch vor etwas mehr als einem Jahr hätte ich mit voller Überzeugung gesagt, dass sich bestimmte Formen des intensiven, strategischen Arbeitens nicht durch Online-Zusammenarbeit ersetzen lassen. Seither habe ich viel gelernt: Was geht und was nicht geht. Was man vom Physischen eins zu eins ins Digitale übertragen kann. Was sich ändern muss. Und – zu meinem eigenen Erstaunen! – auch, welche Gewinne aus der digitalen Zusammenarbeit in Zukunft physische Workshops bereichern.

Erarbeitet man neue Kommunikationsstrategien in, für und mit Unternehmen, dann ist das immer ein sehr intensiver Prozess. Es bedeutet Change, Wandel. Dazu gehört auch, dass sich viele Dinge zeigen: Stärken, Schwächen, Strukturen, Festgefahrenes, Potentiale, Defizite oder lange nicht Angeschautes beziehungsweise auf die lange Bank Geschobenes.

Ich erinnere mich noch gut an die ersten Strategie-Workshops mit Kunden-Teams etwa ab Mitte März, alle ziemlich kurzfristig umgestellt von Vor-Ort-Treffen auf Online-Workshops. Trotz langjähriger Erfahrungen mit Webinaren, Online-Meetings und digitalen Formaten stellte dies für mich eine große Herausforderung dar.

Gleiche Aussage, andere Bedeutung, sinkende Raumtemperatur

Denn sitze ich mit den Entscheidern, Kommunikationsverantwortlichen und deren Teams in einem Raum, dann höre ich nicht nur das, was gesagt wird. Ein- und dieselbe Aussage kann aus verschiedenen Mündern und mit verschiedenen Tonfällen sowie subtilen Blicken (oft auch unter Beteiligten gewechselt) ganz unterschiedliche Bedeutungen haben.

Nicht immer wird alles ausgesprochen. Bestimmte Tabu-Themen lassen, bildlich gesprochen, die Temperatur im Raum sinken. Dies alles gilt es wahrzunehmen und wertzuschätzen. Wenn Unausgesprochenes in der Luft hängt, wenn der sprichwörtliche Elefant im Raum steht, dann haben erfahrene Moderatorinnen und Berater verschiedene Techniken, um solche Blockaden zu lösen, zu umschiffen – oder um zumindest zu erkennen, wo es im Moment nicht weitergeht. Nur so kann sich etwas verändern, und der Prozess kann auf die gewünschten Ergebnisse zusteuern.

Auch lässt sich bei aller digitalen Moderationstechnik manches besser in Bewegung und physisch erarbeiten, etwa mit Flipcharts, Metaplan, Gruppenarbeiten an Stationen …

Erfolgreich, weil es keine andere Möglichkeit gab?

In den vergangenen fast anderthalb Jahren habe ich meine sämtlichen Beratungsmandate mit allen Bestandteilen inklusive Workshops digital absolviert. Das hat erstaunlich gut geklappt. Wahrscheinlich liegt es aber auch daran, dass es keine Alternative dazu gab. Wenn ich also demnächst wieder – mit allen Vorsichtsmaßnahmen – die ersten Strategieworkshops vor Ort moderieren werde, dann wird das womöglich anders aussehen als vor dem März 2020.

Mit dem Erfahrungsschatz aus dieser Zeit, der ja immer noch wächst, werde ich ganz sicher in Zukunft sehr viel mehr meiner Arbeit digital erledigen als vor der Pandemie – auch und gerade Workshops und Meetings in Strategieprozessen. Doch zugleich habe ich im digitalen Raum einiges gelernt, das meine Arbeit vor Ort in Zukunft verändern wird.

Denn zwar habe ich, wie wahrscheinlich sehr viele andere Menschen auch, in den vergangenen etwa 15 Monaten meine Fähigkeiten verbessert, sehr viel mehr in digital per Kamera übertragenen Gesichtern zu lesen, aus Tonfällen herauszuhören, zwischen den Zeilen zu spüren. Doch vor allem habe ich eines gelernt: Viel expliziter all das zu erfragen, was die Empathie aus dem gemeinsamen digitalen Raum nicht herauszufiltern in der Lage ist.

An Informationen kommen, die über das Faktische hinausgehen

Viel, viel häufiger als in physischen Workshops bitte ich an bestimmten Punkten explizit um Feedback. Ich stelle bestimmte Fragen auf bestimmte Art und Weise, um auch an Informationen zu gelangen, die über das Faktische hinausgehen. Die Kunst und zumindest für mich die besondere Herausforderung bestehen hier darin, niemanden zu Aussagen zu drängen oder gar zu konfrontieren. Auch im Digitalen gilt es, einen wertschätzenden Raum zu öffnen, in dem bisher Unausgesprochenes verbalisiert werden kann und darf.

Dabei ist mir klargeworden, wie wertvoll es ist, viel mehr Dinge ausdrücklich in Worte zu fassen. Auch wenn ich seit jeher in Workshops viele Feedback-Runden eingelegt habe, so ist doch die Empathie ein sehr subjektives Phänomen. Zuweilen kann das eigene Einfühlungsvermögen täuschen, und wenn man viel mehr erfragt, dann zeigt sich zuweilen anderes als erwartet.

Empathie und freie Aufmerksamkeit: auch situativ verschieden

Generell sind ja Empathie und Einfühlungsvermögen unter den Menschen nicht gleich verteilt – und übrigens auch nicht immer in gleichem Maße verfügbar. Wer beispielsweise selbst in den Strategieprozess involviert ist, hat oftmals nicht so viel sachliche Distanz und freie Aufmerksamkeit wie eine externe Moderatorin, um immer mitzubekommen, welche unterliegenden Prozesse gerade bei anderen Beteiligten laufen.

Mittlerweile habe ich mit vielen anderen Menschen gesprochen, die ähnliche Erfahrungen mit dem veränderten Arbeiten  des vergangenen Jahres gemacht haben. Meine Hoffnung: Dass es mittels der Lerneffekte aus dem digitalen Raum gelingt, Kommunikation insgesamt zu verbessern. Denn Dinge auszusprechen, statt zu meinen, man könne sie erfühlen: Dies schließt ja ein empathisches Zuhören,wie es etwa die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshal B. Rosenberg lehrt, keinesfalls aus.

Kein Elefant im Zoom, kein Elefant im Raum

Im Gegenteil: Wenn alle unter gleichen Voraussetzungen offen miteinander sprechen, dann steht der Elefant nicht nur im Zoom-, Teams- oder WebEx-Meeting, sondern auch im physischen Workshop-Raum nicht mehr im Weg. So kann der Change, den uns die Pandemie allen mehr oder weniger aufgezwungen hat, zumindest in dieser Hinsicht nachhaltig etwas bewirken.

Dr. Kerstin Hoffmann
1 Kommentar
  1. Tim sagte:

    Insbesondere die Empathie im persönlichen Austausch fehlt in den digitalen Kanälen wie Zoom. Dennoch darf man natürlich nicht die großen Vorteile unterschätzen, die eine solche Plattform mit sich bringt. So war es noch wenige Jahrzehnte zuvor unvorstellbar in einer Pandemie per Knopfdruck alle Hilfsmittel zur Hand zu haben, die einem dabei helfen solche Krisen zu meistern.
    Spannender Artikel!

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