Shitstorm und Krisen-PR: Fragen & Antworten aus der Beratungspraxis – ein umfassender Ratgeber

Vorbeugung, Früherkennung, angemessene Reaktionen, mögliche Folgen …

Es geschieht meistens kurz vor Büroschluss: Mein Telefon klingelt, und auf der anderen Seite der Leitung höre ich gelinde Panik. „Unsere Firma erlebt gerade einen Shitstorm. Bitte sagen Sie mir, was ich jetzt sofort tun soll!“ Auch in den Medien, von der Publikumszeitschrift bis zum Branchenjournal, genießt das Thema „Shitstorm“ ungebrochene Aufmerksamkeit: Dieses bedrohliche Gespenst aus dem Internet, das jederzeit jeden treffen kann und im Handumdrehen ganze Existenzen vernichtet. Kaum ein Monat vergeht, in dem ich nicht mindestens einmal eine Interviewanfrage zu diesem Thema erhalte, so wie kürzlich hier. Offenbar beginnen andererseits einige Unternehmen gerade erst, sich mit der Gefahr von Kommunikationskrisen (nicht nur) im Social Web auseinanderzusetzen. Eine häufig gehörte Aussage lautet: „Aktivitäten eines Unternehmens in den Social Media erhöhen die Shitstorm-Gefahr!“ – Dabei ist eher das Gegenteil der Fall.

Doch wie beugt man einer digitalen Empörungswelle vor, was genau ist eigentlich ein Shitstorm, wie grenzt man ihn von anderen Kommunikationskrisen ab, und welche Bedeutung sollte man ihm tatsächlich zumessen? – Hier habe ich aus meiner Sicht, Erfahrung und Beobachtung einige typische Fragen und meine Antworten darauf zusammengestellt. 

Ist über das Thema „Shitstorm“ nicht längst schon alles gesagt?

Ja, es stimmt, über dieses Thema wurde schon sehr viel publiziert. Ich habe bereits vor mehreren Jahren dazu einen Ratgeber geschrieben. Auch in der Publikumspresse ist der Shitstorm nicht erst seit gestern angekommen. Doch Shitstorms gibt es weiterhin und eher in steigendem Maße. Die große Zahl der Anfragen aus Medien ebenso wie von Unternehmen zeigt mir, dass es hier noch sehr viel Informations- und Klärungsbedarf gibt. Ich habe vorsichtshalber kürzlich auf Facebook mein eigenes Netzwerk gefragt, in dem viele Fachkollegen sind, und auch hier herrschte die fast einhellige Meinung, dass ein aktueller Beitrag dazu für viele Menschen hilfreich sein könne.

Hier im (öffentlichen) Posting können Sie auf Facebook die Kommentare lesen.

Was ist ein Shitstorm, und wie kommt er zustande?

Der Shitstorm ist ein Spezialfall einer Kommunikationskrise, der aus einer massenhaften Empörungs- und Beschimpfungswelle in sozialen Netzwerken besteht. Auslöser können Äußerungen in sozialen Netzwerken sein oder etwa Versuche, über Social Media PR zu lancieren, wie es beispielsweise kürzlich Oliver Kahn passiert ist. Ein anderes Beispiel: Der Shitstorm, den der Hashtag #fragnestlé auslöste. Doch auch Äußerungen in anderen Medien sowie bekannt gewordene Tatsachen können dazu führen, dass viele Menschen zusammen gegen ein Unternehmen oder ein Person losschlagen. Es trifft Stars wie Justin Bieber oder Konzerne wie Volkswagen wegen des #dieselgate. Auch Politiker sind regelmäßig kleineren oder größeren solcher Wellen ausgesetzt. Leider trifft es zuweilen auch Privatleute, und dann oft völlig ungerechtfertigt, wie die junge Frau, die auf Twitter nur eine Frage gestellt hatte, plötzlich massenweise von anderen verhöhnt wurde und sich daraufhin ganz von Twitter zurückgezogen hat (und deren Fall ich hier aus guten Gründen nicht näher spezifizieren möchte). Sogar Schultoiletten können den Anlass für eine solche Empörungs- und Beschimpfungswelle darstellen.

Im Prinzip kann fast alles plötzlich große, auch negative Resonanz erzeugen. Meiner Wahrnehmung nach gibt es aber drei typische Auslöser:

  • Selbst ausgelöst mit Aktivitäten des betreffenden Unternehmens oder eines seiner Mitarbeiter im Web. Beispiele: Eine Firma wirbt mit falschen Behauptungen für ein Produkt und ein Mitbewerber entlarvt das. Oder ein Unternehmen, das einen starken Gegner hat, etwa eine Umweltschutz-Lobby, provoziert diesen mit offensiver Kommunikation zu einer Gegenkampagne.
  • Ausgelöst durch die Reaktion eines Unternehmens auf Äußerungen im Web. Beispiel: Ein Blogger äußert sich negativ über ein Produkt, und der Hersteller geht direkt juristisch dagegen vor oder versucht die Meinungsäußerung zu unterdrücken.
  • Ausgelöst von anderen Menschen aufgrund von (empfundenen) Missständen, beispielsweise in der Unternehmenspolitik. Beispiel: Störfall, Unfall, Gefährdung, Skandal – und die Gegner nutzen das Web, um das anzuprangern und ihren Protest zu organisieren und zu verstärken.

Ein Shitstorm kann also Teil einer größeren Kommunikations- oder Unternehmenskrise sein oder ein isoliertes Social-Media-Phänomen. Entsprechend unterschiedlich fallen auch die Folgen aus.

Gibt es Faktoren, die einen Shitstorm besonders wahrscheinlich machen beziehungsweise begünstigen?

Dabei gibt es bestimmte Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit, dass ein Shitstorm ausgelöst wird, deutlich erhöhen, wie eine kürzlich erschienene gemeinsame Studie von The University of Michigan-Dearborn, Otto Beisheim School of Management, Vallendar, und Otto-Friedrich-Universität Bamberg ergeben hat:

  • Eine große Community oder eine Interessengruppe unterstützt den Shitstorm (engl. Collaborative Brand Attack).
  • Eine große Zahl von Usern fühlt sich von dem betreffenden Unternehmen ausgenutzt oder instrumentalisiert.
  • Das Unternehmen reagiert unangemessen, etwa indem es versucht, negative Kommentare zu löschen oder sie einfach ignoriert, statt konstruktiv mit der Situation umzugehen.
  • Die Inhalte an sich laden zur Weiterverbreitung ein, weil sie emotional, lustig oder überraschend sind.
Der Klick auf das Bild öffnet die Studie (PDF).

Der Klick auf das Bild öffnet die Studie (PDF). Dozenten und Trainer können die Präsentation zur Studie hier kostenfrei anfordern: http://www.philipprauschnabel.com

*Philipp A. Rauschnabel, Nadine Kammerlander, and Björn S. Ivens: „Collaborative Brand Attacks in Social Media: Exploring the Antecedents, Characteristics, and Consequences of a new Form of Brand Crises“, 2016. – In der kommenden Woche erscheint hier im PR-Doktor ein ausführliches Interview mit den Autoren der Studie.

Wen trifft ein Shitstorm am schlimmsten?

Tatsächlich gibt es immer noch keine verlässlichen Untersuchungsergebnisse darüber, welchen Schaden ein Shitstorm etwa in Unternehmen wirklich anrichtet. Meiner Wahrnehmung nach sind diejenigen am schlimmsten getroffen, die unvorbereitet Opfer einer persönlichen Attacke werden und keine Strategien haben, damit professionell umzugehen. Politiker sind Angriffe und Kontroversen gewöhnt. Unternehmen haben Kommunikationsfachleute, zumindest die größeren.

Ist dagegen ein Unternehmen nicht auf eine Kommunikationskrise vorbereitet – und das sind leider viele Mittelständler und kleinere Firmen nach wie vor nicht –, dann ist der Schock meist groß, und es wird verzweifelt nach kurzfristiger Unterstützung gesucht. Das gilt nicht nur für typische Shitstorms, sondern jede Form von Unternehmens- und Kommunikationskrise. Doch auch der beste PR-Berater kann nicht in Minuten einspringen und sich zum Sprecher einer Firma oder einer Organisation aufschwingen, die er gar nicht kennt. Daher gehört ein Konzept zur Krisen-PR mit Ansprechpartnern in wirklich jedes Unternehmen. (Siehe auch unter dem Punkt „Kann man … vorbeugen“?)

Auch wenn es in diesem Beitrag um professionelle (Unternehmens-)Kommunikation geht: Ein Privatmensch, der plötzlich via Twitter oder Facebook massenhaft gemobbt wird, ist womöglich am schlimmsten beeinträchtigt. Da tröstet es den Einzelnen natürlich wenig, dass die Gefahr einer solchen Attacke relativ gering ist. Neben formaler Unterstützung hilft es hier vielleicht noch am besten, ein Netzwerk von Vertrauten um sich zu haben. Wer als Privatmensch unter Shitstorm oder Cybermobbing leidet oder zu leiden vermeint, sollte sich unbedingt Hilfe bei anderen holen. Auch psychologische Beratungsstellen können beispielsweise eine erste Anlaufstelle sein!

Wie erkennt man, dass sich da etwas zusammenbraut?

Ein gutes Monitoring und geeignete Frühwarnsysteme sollten dafür sorgen, dass ein Unternehmen rechtzeitig davon erfährt, dass in der Kommunikation etwas schiefläuft. Wer Inhalte nur in eine Richtung sendet, aber nicht vernünftig misst und beobachtet, erfährt im Zweifel viel zu spät von gefährlichen Entwicklungen. Regelmäßige Blicke in die sozialen Netzwerke (und nicht nur auf die Distributionstools für eigene Inhalte) sind Pflicht. Kommunikation in digitalen Zeiten ist kein Nine-to-Five-Job mehr. Auch am Wochenende und außerhalb der Dienstzeiten müssen Entscheider erreichbar sein, für den Fall, dass etwas schiefläuft.

Auch deswegen ist es wichtig, nicht nur quantitativ zu monitoren, sondern qualitativ. Denn allein die Tatsache, dass ein Unternehmen in sozialen Netzwerken plötzlich überdurchschnittlich häufig genannt wird, sagt noch nichts über die Qualität der Äußerungen aus. Daher muss immer auch eine Sentiment-Analyse erfolgen, welche die Äußerungen in Abstufungen von sehr negativ über neutral bis zur sehr positiv einordnet.

Ein gutes Netzwerk rund um ein Unternehmen, zu dem eine gute persönliche Vernetzung der Protagonisten gehört, erhöht die Wahrscheinlichkeit, möglichst früh von einem Shitstorm, der sich zusammenbraut, zu erfahren.

Das zeigt auch: Wer sich aus Angst vor Gegenwind aus den sozialen Netzwerken heraushält, senkt damit in der Regel nicht die Shitstorm-Gefahr, sondern vielmehr das Risiko, nicht rechtzeitig von etwas zu erfahren. Denn die Auslöser, wie gesagt, können auch anderswo liegen als in Äußerungen über firmeneigene Accounts; und es gibt heute wirklich so gut keine Firma mehr, deren Mitarbeiter komplett nicht im Web anzutreffen wären. Ein möglicher Worst Case: Ein Mitarbeiter einer Firma löst mit einer Äußerung einen Shitstorm aus, es gibt aber keine Firmen-Profile oder -Seiten in sozialen Netzwerken, um dazu offiziell Stellung zu beziehen.

Sind mehrere Beschwerden auf der Facebook-Pinnwand bereits ein Shitstorm?

Eindeutig: Nein. Was viele Vorstände, Manager und Unternehmenslenker erst noch lernen müssen: Kritik gehört zur Kommunikation in digitalen Medien dazu. Da kann der Ton auch schon einmal rauer werden. Der am wenigsten kluge Schritt besteht darin, solche Kritik zu unterdrücken oder zu löschen. Damit heizt man die Empörung oft erst richtig an. Wer es Usern nicht ermöglicht, auf unternehmenseigenen Kanälen Kritik zu üben, der erreicht nur, dass sich der Unmut anderswo austobt – und im Zweifel erfährt man erst zu spät davon.

Gehen in einem Unternehmen massenhaft Beschwerden etwa über Mitarbeiter oder Kundendienst ein, so hat diese Firma wahrscheinlich ein anderes als nur ein Kommunikationsproblem. Es sollte dringend an den eigentlichen Missständen gearbeitet werden.

Kann man einen Shitstorm verhindern oder ihm zumindest vorbeugen?

Jeder Mitarbeiter, jedes Ereignis kann potentiell einen Shitstorm auslösen. Man kann also nicht wirklich vorbeugen. Treffen kann es potenziell jedes Unternehmen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit rein statistisch nicht allzu hoch ist. Manche sind allerdings gefährdeter als andere, etwa weil sie besonders exponiert sind oder ihr Kerngeschäft besondere Gefahren birgt. Nicht jeder Fehltritt muss zu einem Shitstorm führen, aber moralische oder unternehmerische Verfehlungen erhöhen das Risiko von Kommunikationskrisen generell; ebenso die bereits genannten Faktoren wie: Marktmacht ausnutzen oder der Versuch, andere für die eigenen PR-Zwecke zu instrumentalisieren. Das bedeutet: Eine Unternehmenspolitik, die von Integrität und Transparenz geprägt ist, beugt solchen Krisen tendenziell vor. Auch die Folgen werden dann wahrscheinlich weniger schlimm ausfallen, wenn nachweislich keine massiven Verfehlungen stattgefunden haben.

Regelrechte Vorbeugung im Sinne einer präventiven Vermeidung ist also kaum möglich. Gerade deswegen muss man sich aber vorher überlegen, mit man mit dem Ernstfall umgeht. Daher braucht jedes Unternehmen ein Konzept für die Krisenkommunikation. Dazu gehören auch Abstimmungswege sowie die Kontakte zu Ansprechpartner. Wie schon betont: Ein Berater, der noch nie mit dem Unternehmen zu tun hatte und die näheren Umstände nicht kennt, kann auch im Ernstfall nicht minutenschnell einspringen.

Passieren kann nämlich, auch wenn das selten ist, immer etwas. Das muss kein klassischer Störfall aus dem Kerngeschäft sein. Es kann beispielsweise ein Mitglied des Managements sein, das sich juristischen Vorwürfen ausgesetzt sieht, oder auch die (gerechtfertigte oder ungerechtfertigte) Anschuldigung durch Mitbewerber oder Interessengruppen.

Einige einfache vorbeugende Verhaltensregeln helfen dabei, im Krisenfall richtig zu agieren:

  • Pflegen Sie Ihr Netzwerk: Offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Meinungsbildnern, Pressevertretern und persönlichen Kontakten im Web ebenso wie in anderen Branchen-Netzwerken ist ein wichtiges Element jeder Unternehmenspolitik. Wer umfassend informiert und transparent arbeitet, hat im Fall des Falles deutlich bessere Karten. Dazu gehört auch die persönliche Vernetzung der Protagonisten im Unternehmen. Wer viele zufriedene Kunden und treue Fans hat, übersteht einen kurzzeitigen Sturm mit deutlich weniger Schaden. Die Erfahrung lehrt, dass Krisen oft erst loyale Fürsprecher aktivieren, die bisher geschwiegen haben.
  • Halten Sie Ihre Verteiler und Konten aktuell: In der Krise haben Sie keine Zeit, sich Adressen, Telefonnummern und Spezialisierungen von Pressevertretern zusammenzusuchen oder Ihren Social-Media-Workaround zu rekapitulieren.
  • Aktualisieren Sie Ihr Material: Dazu gehören alle Firmen-Informationen und Pressematerialien, Unternehmenszahlen und wichtige Daten – auch die Hintergrund-Informationen, die niemals an die Öffentlichkeit gelangen, sollten intern stets auf dem neuesten Stand und sofort abrufbar sein.
  • Kommunizieren Sie regelmäßig: Informationen zur Unternehmensentwicklung, zu Projekten und Produkten sollten selbstverständlich sein. Ebenso sollten Sie Ihre Aktivitäten im Web wirklich dauerhaft betreiben. Accounts nur anzulegen, um sie sporadisch zu nutzen, ist nicht sinnvoll. Social-Media-Strategien innerhalb einer umfassenden Kommunikationsstrategie sind ein eigenes Thema, zu dem Sie viele Informationen im Blog „PR-Doktor“ finden.
  • Treffen Sie intern klare Absprachen: Jedes Unternehmen braucht heute Social-Media-Guidelines, aber nicht als starres Regelwerk, sondern als gelebte Kommunikationskultur. Mitarbeiter brauchen für ihr Verhalten im Web Unterstützung, keine Bevormundung. Dazu gehören auch eine Fehlerkultur und eine Unternehmensleitung, die wenn einmal etwas schief geht, hinter ihren Mitarbeitern steht.

Kann Krisen-PR auch gegen den Shitstorm helfen?

Im Grunde ist der „Shitstorm“ ja nur ein plakativer Begriff für eine Sonderform einer sehr neuen Erscheinung in digitalen Medien. Früher fanden Empörungswellen eben in den Massenmedien statt. Heute können die User direkt selbst kommentieren und Dinge weiterverbreiten. Kontrollieren kann man solche Entwicklungen nicht, unterdrücken noch weniger. Gerade deswegen sind Szenarien für die Krisen-PR so entscheidend (siehe voriger Punkt).

Ist jede größere Kontroverse im Web gleich ein Shitstorm?

Ebenfalls nein. Bestimmte Themen und Personen polarisieren nun einmal. Wer exponiert ist, muss so etwas aushalten können, auch wenn es für manchen schwer sein mag. Eine kontroverse Diskussion ist eben auch ein Zeichen für Popularität.

Das gilt etwa auch für Politiker, für die Beleidigungen in sozialen Netzwerken ja schon an der Tagesordnung sind. Solange keine wirklichen eigenen Verfehlungen dahinterstehen, muss man nicht unbedingt direkt einen imageschädlichen Shitstorm befürchten. Erstaunlicherweise überstehen aber selbst solche Personen, denen Fehltritte nachgewiesen werden konnten, so manche Empörungswelle. Das Netz und die Öffentlichkeit vergessen oft schneller, als gedacht – spätestens dann, wenn die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Aber nochmal: Das ist kein Freibrief für Verfehlungen. Manch eine Person und manch ein Unternehmen ist eben doch über einen Skandal gestolpert.

Wie groß sind denn die wirtschaftlichen Schäden wirklich?

Das weiß tatsächlich nach wie vor niemand so genau. Auch die Autoren der obigen Studie, eigentlich bisher die einzige wirklich wissenschaftlich belastbare Arbeit zu dem Thema, räumen ein, dass es oft schwer ist, die einzelnen Faktoren voneinander zu trennen. Erlebt etwa ein Unternehmen einen Umsatzeinbruch aufgrund etwa einer Krise, die eben auch zu dem Shitstorm geführt haben, oder stellt dieser mit der daraus resultierenden großen Sichtbarkeit erst die eigentliche Ursache dar?

Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Schäden gäbe und man einen Shitstorm auf die leichte Schulter nehmen sollte – so wie jede andere Kommunikationskrise auch nicht. Entscheidend ist vor allem festzustellen, welche Missstände zu der Empörungswelle geführt haben, und ob im Unternehmen grundsätzlich etwas im Argen liegt. Wenn tatsächlich beispielsweise ein grober Verstoß gegen Gesetze oder moralische Normen stattgefunden hat, dann kann selbst die beste Krisenkommunikation den Schaden nur bedingt begrenzen. Umgekehrt kann aber ein unangemessenes Verhalten (siehe oben) zusätzlichen Schaden anrichten.

Wenn man schon wirtschaftliche Schäden nicht unbedingt unmittelbar quantifizieren kann, so ist es immerhin möglich, die Gesamtheit der Äußerungen in Social Media zu beurteilen, mit der bereits genannten Sentiment-Analyse. Hier kann man dann auch feststellen, wenn die öffentliche Meinung wieder zum Positiven umschlägt.

Kann ein Shitstorm auch positive Folgen haben?

Massenhafter Protest kann auch massenhaft Fürsprecher aktivieren. Manchmal folgt auf einen Shitstorm ein sogenannter Candystorm durch Befürworter und Unterstützer. Auch kann natürlich die große Sichtbarkeit eines Unternehmens in sozialen Netzwerken zu mehr Popularität führen. Ein Sonderfall wäre etwa, wenn eine bestimmte Interessengruppe massiv digital auf ein Unternehmen einschlägt, die selbst stigmatisiert ist, etwa politisch. Das könnte dazu führen, dass andere Interessengruppen nun erst recht ein positives Bild von der Firma gewinnen.

Kalkulieren sollte man solche Effekte aber nicht. Wer mit dem Gedanken spielt, einen Shitstorm auszulösen, um mehr Aufmerksamkeit zu erzielen, spielt mit dem Feuer.

Mein Unternehmen ist gerade einem Shitstorm ausgesetzt. Was soll ich tun? Was sollte ich lieber lassen?

Manche Shitstorms muss man einfach aussitzen, und das Wichtigste ist dann, den Ball flach zu halten und gut zu beobachten. Wenn jedoch wirklich etwas schief gelaufen ist und Sie sich inmitten einer Kommunikationskrise befinden, dann kann man einige allgemeingültige, sinnvolle Verhaltensregeln festhalten:

  • Offen kommunizieren: Verneinen, rechtfertigten, abstreiten – diese Dinge können Sie getrost vergessen. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, hilft nur absolute Offenheit und zwar jeweils nach dem aktuellsten Stand der Dinge. Noch einmal: Das kann nur ein Profi gut organisieren und formulieren. Wer keine eigene PR-Abteilung hat, sollte Berater hinzuziehen.
  • Kritik ernst nehmen, Fehler eingestehen: Sagen Sie, was passiert ist, warum es geschehen ist und was die möglichen Folgen sind. Wenn etwas schief gelaufen ist: Erläutern Sie, was Sie zu unternehmen gedenken. Wiegeln Sie Kritik nicht ab. Diffamierungen müssen Sie sich nicht gefallen lassen, weder auf Ihren Seiten noch in Social Networks. Kritische Kommentare auf Ihren Plattformen im Web sollten Sie aber nicht einfach löschen.
  • Umfassend informieren: Beziehen Sie alle Beteiligten mit ein. Die Öffentlichkeit und die Medien ebenso wie Multiplikatoren und direkt Betroffene. Sorgen Sie dafür, dass die unmittelbar an Ihrem Unternehmen Beteiligten – etwa der Aufsichtsrat, Aktionäre, Geldgeber und natürlich Ihre Mitarbeiter – als erste alle relevanten Informationen erhalten.
  • Alle Medien nutzen: Bleiben Sie mit allen relevanten Personen und Organisationen in ständigem Kontakt. Persönlich, per Mail, telefonisch, mit Pressemitteilungen, im Social Web. Ein akuter Krisenfall ist jedoch nicht der richtige Zeitpunkt, Präsenzen in Social Networks erst aufzubauen.
  • Ball flach halten: Schlagen Sie nicht zurück, ehe Sie bei sich selbst aufgeräumt haben. Wer vor Gericht zieht, gegen Verleumder prozessiert und aggressiv versucht, sich ins Recht zu setzen, der provoziert unter Umständen mehr Aufsehen, als der Sache dienlich ist. Allzu aggressive, beleidigende Stimmen disqualifizieren sich ohnehin selbst. Oft werden Sie in Fällen ungerechtfertigter Angriffe sogar erleben, dass Ihre Fans und Ihr Netzwerk aufstehen und sich für Sie einsetzen!

Alles andere ist eine Sache der individuellen Erarbeitung angesichts der ganz konkreten Situation , und hier sollten Sie geordnet und überlegt vorgehen. Auch wenn man sich in diesen digitalen Zeiten kein längeres Zögern leisten kann, ist übereiltes Handeln mindestens ebenso schädlich.

Jemand hat mir mit einem Shitstorm gedroht. Was tue ich jetzt?

„Dann starte ich eben einen Shitstorm!“ ist das neue „Dann gehe ich damit eben an die Presse!“ Das jedenfalls legen Berichte von Teilnehmern meiner Workshops nahe. Seit das Phänomen Shitstorm in den Massenmedien angekommen ist, rufen hier auch hier bei mir im Büro immer wieder relativ verzweifelte Unternehmer an, denen jemand einen Shitstorm angedroht hat, weil ihm irgendetwas nicht passt. Nun sollte man die Gefahr von Kommunikationskrisen keineswegs verharmlosen oder gar von der Hand weisen. Doch oft wird an der einen Stelle zu viel befürchtet, während man an anderer die möglichen Risiken gar nicht erkennt.

Jeder der weiß, wie aufwendig es ist, Sichtbarkeit und mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen, weiß auch, dass nicht jeder Mensch so einfach einen Shitstorm erzeugen oder eine große Welle durch die Medien machen kann. Schließlich ist nicht jeder wütende Mensch gleich ein Influencer mit großer Reichweite. Andererseits hat auch schon manches Unternehmen einen vermeintlich kleinen Kunden abgewiegelt, der dann plötzlich eine große Interessengruppe hinter sich hatte.

Panik ist also ebenso wenig sinnvoll wie allzu große Verharmlosung. Es lohnt sich seit jeher, und in der heutigen Zeit mehr denn je, insgesamt eine wertschätzende Kommunikation zu pflegen und konstruktiv mit Kritik umzugehen.

Was sagt die Wissenschaft dazu?

Eine der ganz wenigen, wirklich aussagekräftigen wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Shitstorm stellt die bereits oben zitierte Studie dar. Ich habe mit den Autoren ein ausführliches Interview geführt, das Sie hier finden.

Dr. Kerstin Hoffmann
6 Kommentare
  1. Joseann sagte:

    Vielen Dank für den sehr informativen Artikel. Einen kühlen Kopf bewahren kann vielleicht nicht schaden, aber bei diesem Satz habe ich mich gefragt, ob das wirklich stimmt? @“Allzu aggressive, beleidigende Stimmen disqualifizieren sich ohnehin selbst.“
    Wirklich? Wenn man sich die Entwicklung in den USA anschaut, dann scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein, diese Art von Stimmen scheint sogar Staatspräsident werden zu können. Ist es nicht so, dass das Internet gerade diesen aggressiven, beleidigenden Stimmen zunehmend eine großartige Plattform bietet, ihren „shit“ loszuwerden und andere damit anzustecken, was insgesamt die „Qualität“ der Kommunikation absenkt? Was ich meine ist: falls diese „Stimmen“ sich nicht von selbst disqualifizieren, was mache ich dann? Müsste es eigentlich nicht Mechanismen im Netz geben, die man nutzen kann, um diese Stimmen aktiv zu disqualifizieren anstatt darauf zu vertrauen, dass dies „irgendwie automatisch“ geschieht?

  2. Kerstin Hoffmann sagte:

    Ein guter Einwand. Tatsächlich steht das ja auch in dem Artikel: Wer sich mit anderen intensiv austauscht und ein gutes Netzwerk hat, sorgt damit für Fürsprecher auch im Krisenfall.

    Natürlich sind diffamierende Äußerungen oft sehr verletzend, aber der vernünftig denkende User kann sie richtig einordnen. Was leider nicht bedeutet, dass sie nicht andere diffamierende Nachahmer anziehen würden. Ich halte es jedoch für kontraproduktiv, mit solchen Stimmen in eine Eskalation einzusteigen.

  3. Dr. Christian Salzborn sagte:

    Liebe Frau Hoffmann,

    erneut wieder ein schöner Beitrag zu dem stets aktuellen Thema des Shitstorm. Seit Jahren begleite ich nun speziell diese Beiträge und freue mich über die tolle Zusammenfassung dieses doch komplexen Themas.

    Es würde mich umso mehr freuen, wenn sie bei der Darstellung relevanter Quellen zum Thema, speziell aus der Wissenschaft, meine Doktorarbeit zum Phänomen Shitstorm beachten würden. Auf 362 Seiten habe ich alle relevanten Fragen zum Thema geklärt, inkl. der Frage nach den Folgen. Vielleicht schauen Sie mal rein?

    http://opus.uni-hohenheim.de/volltexte/2015/1110/

    Es würde mich sehr freuen.
    Beste Grüße
    Dr. Christian Salzborn

  4. Hubert sagte:

    Joseann sagte:
    25. Oktober 2016 um 11:31
    Vielen Dank für den sehr informativen Artikel.

    Bitte? Ich habe nichts gelesen, was informativ war. Niemand weiß ob ein Shitstorm überhaupt irgendeine Wirkung hat und was man dagegen aus PR-Sicht tun soll ist, was jedes ansatzweise ehrliche Unternehmen sowieso macht. Wozu was tun, wenn man gar nicht wieß, ob überhaupt ein Schaden entsteht? Ach ja, weil die PR-Branche so ihr Dasein rechtfertigt und Geld verdient. Information? Fehlanzeige. Langatmige Zusammenstellung von bekannten Selbstverständlichkeiten.

    Eine Schande, wofür man heutzutage einen Doktorgrad bekommt.

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