Was ich in 10 Wochen „Morgenrunde“ über Communitys (und über mich) gelernt habe
Ausgelöst durch eine Idee, einen spontanen Impuls habe ich zehn Wochen lang sehr intensiv aus ganz persönlicher Sicht das Entstehen einer eigenen Community erlebt. Ganz persönlich, weil es hier nicht um ein professionelles Angebot ging. Vielmehr entstand eine Gemeinschaft aus einer persönlichen Aktion, mit der ich keine beruflichen Zwecke und Ziele verfolgte – außer dem Ziel, eine Hilfe für die Menschen in meiner bereits vorhandenen Community anzubieten. Gerade deswegen habe ich dabei sehr viel gelernt. Ich bin jetzt schon mehrfach gebeten worden, meine Erkenntnisse einmal aufzuschreiben. Ich mache das gerne, vor allem vor dem Hintergrund, dass es viele andere Menschen gibt, die in dieser Zeit ähnliche Angebote hochgezogen haben und zum Teil noch betreiben. Hier also mein ausführlicher und sehr persönlicher Erfahrungsbericht.
Inhaltsverzeichnis
Im Kern jeder Kommunikationsstrategie steht die Community. Die besten Botschaften, die wertvollsten Inhalte sind nichts ohne diejenigen, für die sie gedacht sind. Die allerwertvollsten Inhalte entstehen im Dialog, im Austausch mit den Stakeholdern. Aus professioneller Sicht habe ich diese Sätze in den vergangenen fast zwanzig Jahren auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger ausführlich in unzähligen Workshops, Vorträgen und Gesprächen vermittelt. Ebenfalls nicht mehr zählen kann ich die Projekte, in denen ich Community-Aufbau mit geplant, Community-Manager ausgebildet und begleitet habe. Auch in eigenen Gruppen und Foren betreibe ich Community-Building. Doch die Corona-Krise hat mir eine neue, eigene, sehr intensive Erfahrung mit einer ganz besonderen Community beschert.
Mitte März, als es in Deutschland mit der Corona-Krise so richtig losging, saßen plötzlich sehr viele Menschen auch aus meinem direkten Umfeld im Home Office. Viele von ihnen mussten sich Hals über Kopf neue digitale Wege der (Zusammen-)Arbeit erschließen. Manche Geschäftsmodelle fielen von jetzt auf gleich erst einmal in sich zusammen. Die sozialen Netzwerke brummten diesbezüglich: Fragen, Emotionen, Ratlosigkeit, Suche nach Orientierung. Da flog mich, ich weiß gar nicht woher, eine Idee an: Warum nicht eine Facebookgruppe und gleich auch noch eine LinkedIn-Gruppe gründen, in der sich Menschen in einem geschützten Raum austauschen, gegenseitig helfen und gemeinsam auch so etwas wie eine Struktur finden?
Welche Motivation steckte dahinter?
Zwei Motivationen trieben mich dabei an: Erstens war ich selbst erst einmal ziemlich ratlos, wie es weitergehen würde. Dienstreisen waren gecancelt, Vorträge abgesagt, Kundentermine verschoben. Es war also etwas Zeit freigeworden, und wenn ich eines gelernt habe, dann dies: Geht es dir selbst gerade nicht so gut oder ist deine Aufmerksamkeit in einem Problem fixiert, dann lenke sie darauf, wie du anderen helfen kannst. (Tatsächlich stellte ich – wie etliche andere mit mir – relativ schnell fest, dass sich die anfänglichen Befürchtungen nicht bewahrheiteten und ich weiter gut zu tun hatte. Doch mir ist zugleich bewusst, dass ich damit sehr viel Glück habe und es Menschen in anderen Branchen schwer getroffen hat.)
Zweitens hat mich meine Community über so viele Jahre begleitet, meine Inhalte geteilt, meine Angebote empfohlen, zu meiner Sichtbarkeit beigetragen, wertvolles Feedback geliefert, dass ich es völlig angebracht fand, etwas Besonderes zurückzugeben. Alles Weitere habe ich gar nicht so sehr „gemacht“, es fühlt sich eher so an, als sei es einfach geschehen, als habe sich auf natürliche Weise eines aus dem anderen entwickelt.
Dabei war mir aber klar, dass ich zwar eine Unterstützung liefern wollte, in die ich Erfahrungen und Kenntnisse einbringe, die ich bereits besitze. Ich wollte aber nicht auf das verfallen, was zu Beginn der Krise viele Berater*innen plötzlich anboten, nämlich Teile ihres professionellen Kernangebotes zu verschenken. Was ich gut kann, weil ich es für meine tägliche Arbeit brauche: Menschen zusammenbringen und motivieren, Relevanz erzeugen und auf Angebote aufmerksam machen, moderieren, organisieren und vor allem auch Technik handhaben. Alle diese Skills konnte und wollte ich nun einsetzen. So startete wenige Tage, nachdem ich die Gruppen gegründet hatte, meine „Morgenrunde“: ein zunächst sogar tägliches morgendliches, dann viermal wöchentliches morgendliches Live-Meeting via Zoom.
Ja, mach nur keinen Plan …
Dies alles war von Anfang an als vorübergehendes Angebot geplant, aber einen genauen Plan oder gar eine Zeitschiene habe ich mir nicht gesetzt. So unsicher wir alle waren, wie sich die Krise weiterentwickelt, so wollte ich auch mit meinem Angebot schauen, was sich ergibt.
In der Morgenrunde noch viel mehr als in den Postings der Gruppe ging es zu Beginn vor allem um persönlichen Austausch, um gegenseitige Unterstützung, um Rat und Hilfe. Aber sehr schnell kamen wir auf Themen, schon allein, damit aus der täglichen straffen halben Stunde nicht auf Dauer eine Selbsterfahrungsbefindlichkeitsgruppe würde. So kamen wir gemeinsam auf Kurzvorträge zu ganz unterschiedlichen Themen: Gruppen-Mitglieder referierten, teils aufwändig vorbereitet, beispielsweise über Webinar-Plattformen, Best Practice in sozialen Netzwerken oder Online-Tools.
Doch der eigentliche Wert bestand in der Wertschätzung in der Gruppe, im morgendlichen Start im virtuellen Gemeinschaftsbüro. Denn zwar lag die Organisation in meinen Händen, und ich war als Einzige bei jedem einzelnen Termin anwesend. Doch es versteht sich von selbst, dass eine solche Gruppe von allen getragen wird; und dass es immer einige gibt, die sich besonders engagieren und ohne die das Vorhaben gar nicht denkbar wäre. Dazu weiter unten noch mehr.
Der (Neu-)Anfang vom Ende
Irgendwann hatte ich das Gefühl: „Das läuft jetzt so gut, und es gibt so viele positive Rückmeldungen. Das kann ich nicht irgendwann einfach wieder stoppen.“ Mein Mann hatte da eine andere Meinung: „Wenn es genug ist, wirst du es wissen.“ Genauso kam es dann auch. In der vorletzten, der neunten Woche konnten einige aus dem harten Kern seltener teilnehmen: Ihre Arbeit lief wieder stärker an, es kamen andere Termine dazwischen. Es stelle sich „ein neues Normal“ ein.
Auch für mich wurde es zunehmend schwer, neben meiner Arbeit wirklich jeden Morgen über eine halbe Stunde freizuhalten; vom Vorbereitungs- und Abstimmungsaufwand für die täglichen Themen, das Schreiben der Themenpläne und den Postings zur Vor- und Nachbereitung einmal ganz abgesehen. Auch war es ja von Anfang an mein Plan, die Menschen in meinem Umfeld spontan in der Krise zu unterstützen.
Wenn man loslassen muss (und will) …
Es war nie mein Plan, eine sehr hochwertige und arbeitsintensive Leistung auf Dauer kostenfrei anzubieten. Schon das, was sich aus der lockeren Gesprächsrunde entwickelt hatte, war ja weit mehr als ursprünglich vorgesehen. Ich habe es in einer besonderen Zeit sehr gerne angeboten, aber ich konnte es dann auch gut wieder loslassen. In der Runde traf ich auf sehr viel Verständnis und Unterstützung. Fast alle hatten das Empfinden: Wir haben in einer Krise und bei großer Unsicherheit zusammengehalten. Nun kehren langsam alle wieder in den Alltag zurück. Die emotionale Intensität nimmt ab, und damit ist auch der Wunsch nach solch intensivem Austausch nicht mehr in gleichem Maße drängend.
Am Donnerstag, 28. Mai 2020, 8 bis 8.30 Uhr, haben wir uns zum letzten Mal in der Morgenrunde live getroffen. Die Facebookgruppe steht, solange es darin noch Aktivitäten gibt, weiterhin zum Austausch zur Verfügung. Sie heißt inzwischen „Digital besser arbeiten“, eröffnet also alle Möglichkeiten, sich weiter zu den Fragen und Themen auszutauschen, die bereits die Gründung auslösten. Es ist aber meine Vermutung, das sie ohne den intensiven Live-Austausch auch irgendwann ihr natürliches Ende erreicht haben wird, und dann werde ich sie archivieren.
Eine intensive Erfahrung aus einer sehr speziellen Zeit
Und: Ja, natürlich kann man eine solche Community weiter aktiv halten, mit dem nötigen Moderationsaufwand, mit neuen Zielen, mit Aktionen. Doch die Entwicklung überlasse ich hier bewusst ihrem natürlichen Lauf beziehungsweise den Bedürfnissen der Mitglieder. Ich habe das Projekt als temporäres Angebot ins Leben gerufen.
Gleichwohl ist vieles entstanden, das bleiben wird. Es haben sich neue Verbindungen geknüpft, das berichten viele Mitglieder. Neue Begegnungen und sogar Kooperationen haben sich ergeben. Ich denke, so wie ich nehmen alle eine intensive Erinnerung an eine ganz besondere Community in einer sehr speziellen Zeit mit. Wahrscheinlich haben also alle Beteiligten dabei etwas gelernt – und nicht nur Wissen mitgenommen, sondern auch andere Erkenntnisse. Einige Zitate dazu finden Sie am Schluss dieses Beitrags. Über das bereits Geschilderte hinaus:
Was ich noch aus der „Morgenrunde“ gelernt habe:
_
Gleiche Ziele oder gleiche Nöte schaffen homogenes Interesse.
Spannend war für mich die Heterogenität der Gruppe: Von Anfang an hatten (und haben wir) Angestellte und Unternehmer*innen, Führungskräfte und Berufsstarter – und sie alle fanden auf die eine oder andere Weise in den Morgenrunden Inhalte, die sie weiterbrachten.
Homogenität entstand durch das gemeinsame Interesse, das zunächst einmal aus der Not geboren war. Waren die Motivationen ganz zum Start eher Ratlosigkeit, Suche nach Struktur und Orientierung, änderte sich dies mit der Weiterentwicklung des Angebots durch die Gruppe: Plötzlich gab es hier nicht nur einen gemeinsamen Start in den Tag, sondern wertvolles Wissen. Dies sprach sich herum und zog auch Menschen an, die vor allem von solchen Inhalten profitieren wollten.
Besondere Situationen schaffen besondere Nähe.
Zu Beginn der Krise haben viele Menschen sehr intensive Emotionen entwickelt, auch bezogen auf berufliche Fragen. Diese emotionale Intensität hat die Gruppe gerade am Anfang zusammengeschweißt und sehr lange nachgewirkt. Große persönliche Nähe ist dadurch sowohl in den Online-Live-Treffen entstanden wie auch im direkten Austausch. Neu entstandene Verbindungen zu Menschen fühlten sich auch für mich an wie langjährige Freundschaften. Einige neu entstandene Freundschaften werden sicherlich über die Zeit hinweg auch bleiben, und auch dies ist wohl nicht nur bei mir so.
Allzu große Intensität hält kein Mensch auf Dauer durch.
Doch auf Dauer können Menschen eine solche Intensität der Empfindungen nicht aufrecht erhalten, selbst wenn sie es wollten. Das ist auch sehr gut so. Es bedeutet aber auch: Irgendwann stellt sich ein (gegebenenfalls neuer) Normalzustand wieder ein. Ist eine Gemeinschaftsaktion aus einer bestimmten Situation heraus entstanden, dann erreicht sie irgendwann ihr natürliches Ende. Wollte man sie weiterführen, müsste man neue Relevanz erzeugen und das Konzept weiterentwickeln oder sogar verändern.
Eine Community hat ihre Normalverteilung.
Keine Community kann erfolgreich sein ohne den erwähnten besonders engagierten harten Kern. Dies sind Menschen, denen der Nutzen der Gruppe für sich selbst besonders bewusst ist, die aber zugleich auch bereit sind, diesen Nutzen für andere zu erzeugen. Sehr gut konnte man das auch daran ablesen, wer aus der Gruppe besonders viele weitere Mitglieder eingeladen hat.
Einige Teilnehmende waren von Anfang an, und zehn Wochen lang, fast täglich dabei – oder eben ab dann, als sie zur Gruppe gefunden hatten. Einige kamen, wie es schafften. Manche schalteten sich nur bei ganz bestimmten Themen und nur einzelne Male dazu. Es entwickelte sich also die gesamte Normalverteilung, die man in jeder Community beobachten kann – aber im Eiltempo. Kaum jemand, mich eingeschlossen, hätte wohl gedacht, dass die Sache so lange anhalten und eine solche enorme Resonanz erzeugen würde: Die Facebookgruppe wuchs in wenigen Tagen auf mehr als 300 Mitglieder, inzwischen hat sie über 500. Aus anfangs 15 oder 16 Teilnehmenden wurden schon nach relativ kurzer Zeit bis zu knapp 60.
Die LinkedIn-Gruppe – obgleich sie auch schnell die Hundert-Mitglieder-Marke überschritt – spielt übrigens in dem gesamten Bild kaum eine Rolle, aus Gründen, die ich weiter unten noch erläutern werde.
Wachstum entsteht in den schwachen Verbindungen – und sorgt zugleich für Veränderung.
Eines der Konzepte, die mein Berufsleben und besonders den Aufbau von Communitys mit am stärksten geprägt haben, ist „The Strength of Weak Ties“ von Mark Granovetter. Er hat nachgewiesen, dass Zuwachs zwar im unmittelbaren Umfeld (Strong Ties = starke Verbindungen) beginnt, aber das eigentliche Wachstum in dem Maße entsteht, in dem die Verbindungen zum eigentlichen Kern des Netzwerks immer schwächer werden. Kamen die ersten Gruppenmitglieder noch aus meinem direkten Umfeld, so fanden mit der Zeit über Kontakte über Kontakte immer mehr Menschen den Weg in die Gruppe und damit auch in die Morgenrunde, die in meinem Netzwerk relativ weit von mir entfernt waren. Denn das Angebot sprach sich erstaunlich schnell herum.
Zugleich verändert sich aber auch die Gestalt einer sehr zusammengeschweißten Gruppe mit der Zusammensetzung. Je mehr Menschen hinzukamen, die gar keinen direkten persönlichen Bezug zu mir hatten, desto mehr verlagerte sich das Interesse auf das kostenlos erhältliche Wissen. Dies war vor allem daran abzulesen, dass an Tagen mit Themenvorträgen oft mehr als doppelt so viele Teilnehmende in die Morgengruppe kamen, gegenüber den Terminen, an denen persönlicher Austausch im Vordergrund stand.
Aus meiner Erfahrung mit sehr vielen, auch langjährig bestehenden Communitys heraus nehme ich an, dass sich Zusammenhalt, gemeinsame Ausrichtung und der wirklich ganz außergewöhnliche Umgangston mit weiterem Wachstum auch weiter verändert hätten.
Erfolg geht nur im Team.
Auch wenn die Morgenrunde, inklusive der dazugehörigen Facebookgruppe, von mir allein moderiert und organisiert wurde, wäre sie nichts gewesen ohne die kleine Gruppe von Personen, die sich hier besonders intensiv eingebracht hat. Eine Gruppe von vielleicht zehn, höchstens 15 Personen hat mit ihrem besonders starken Commitment und persönlicher Präsenz den Erfolg der Morgenrunde überhaupt erst möglich gemacht.
Dabei hat die Zusammensetzung des „harten Kerns“ sich über die Wochen gewandelt: Einige wenige sind von Anfang an dabeigewesen, einige sind über die Zeit dazugekommen. Selbst ganz zum Schluss sind noch Personen dazugestoßen, die sich überdurchschnittlich stark engagiert und eingebracht haben – während andere zum Beispiel aus beruflichen Gründe die Intensität ihres Engagements zurückschrauben mussten. Ganz sicher haben manche auch einfach das Interesse verloren oder gar nicht erst einen Zugang gefunden.
Alles ist okay. Fast alles.
Ob jemand nun täglich im virtuellen Gemeinschaftsbüro in den Tag starten oder nur Wissen zu einem ganz speziellen Thema erlangen wollte: Das war mich alles okay. Wer eine Community organisiert, tut sich selbst einen großen Gefallen, die Motivationen anderer nicht zu bewerten. Man muss sie nicht einmal verstehen oder kennen. Aber es hilft, die eigene Ausrichtung zu behalten. Sonst wird es schnell beliebig.
Auch gilt es Grenzen zu ziehen. In der Live-Morgenrunde lag der Fokus immer auf dem persönlichen Austausch. Deswegen haben wir keine Session aufgezeichnet. Vereinzelte Beschwerden in der Facebookgruppe, dass man das dort präsentierte wertvolle Wissen nur erlangen könne, wenn man zum Termin da sei, offenbarten eine interessante Anspruchshaltung – und das, obgleich es sich ja um ein komplett kostenfreies Angebot handelte. Hier galt es freundlich, aber klar zu kommunizieren, worum es in der Runde eigentlich geht.
Die Gruppe regelt das. Aber sie regelt nicht alles.
Jede Community braucht eine konsistente Moderation. Man muss aktivieren, wo es erforderlich ist, aber auch einmal bremsen, wo jemand womöglich über das Ziel hinausschießt. Dies ist immer ein Balanceakt, denn die handelnden Personen sind ja autonome, selbstverantwortliche Menschen. Doch wenn der Nervfaktor für alle zu hoch wird, dann kann eine Community auseinanderbrechen. Der Aufwand besteht also vor allem in der konstanten Aufmerksamkeit und der Kunst zwischen „zu viel“ und „zu wenig“.
Von Erscheinungen wie aggressiven Auseinandersetzungen oder dem rauen Umgangston, der sich in manchen Facebookgruppen entfaltet, war hier nichts zu spüren. Dies ist ganz sicher dem starken Einfluss der Gründungsmitglieder zuzuschreiben, die weitere Personen anzogen, welche zur Gruppe passten. Ich will aber gar nicht ausschließen, dass es hier bei weiterem Wachstum auch zu anderen Erscheinungen kommen könnte. Allerdings habe ich bestimmte Dinge von Anfang an auch straff wegmoderiert, beispielsweise offensive Werbung für eigene Angebote. Denn die Erfahrung lehrt, dass so etwas schnell dazu führt, dass eine Gruppe auseinanderfällt oder sich Konflikte entfalten.
Wertschätzung, Wertschätzung, Wertschätzung
Wer in negative Resonanz geht, hat verloren. Jede und jeden auf die eigene Weise wertzuschätzen und in ihrer oder seiner Einzigartigkeit so sein zu lassen: Das ist das eigentliche Geheimnis, wenn man eine sehr heterogene Gruppe live moderieren will. Ich übe diesen unbedingten Blick der nicht-wertenden Wertschätzung seit vielen Jahren in Workshops und Moderationen. In den Morgenrunden habe ich ihn noch einmal trainiert. Nur wenn die Moderatorin ihre private Meinung zugunsten einer wertschätzenden Haltung des gemeinsamen Interesses weitgehend außen vorlässt und die Dinge sich entfalten lässt, kann Neues und wirklich Großartiges entstehen.
Fokus, Fokus, Fokus
Viermal pro Woche eine gute halbe Stunde voll konzentriert auf eine Gruppe zu sein: Das ist, so habe ich es vor allem zu Beginn der Krise erlebt, gerade in schwierigen Zeiten wie Urlaub vom eigenen Drama. Der unbedingte Fokus auf das Gruppengeschehen lässt Ablenkung oder Grübeleien nicht zu. Danach ist fixierte Aufmerksamkeit gelöst, und der Tag beginnt viel besser als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre.
Dies ist natürlich eine persönliche Erfahrung. Lässt sie sich auf den beruflichen Umgang mit Communitys übertragen? Ich vermute: Ja. Community-Aufbau und -Management sind dann besonders erfolgreich, wenn sie mehr bedeuten als nur einen Job. Das werden wahrscheinlich all diejenigen bestätigen können, die hauptberuflich damit befasst sind.
Unterbrechungen sind nicht unhöflich.
Aus dieser wertschätzenden Haltung heraus fällt es dann auch etwas leichter, anderen Menschen in die Parade zu fahren. Das war für mich vielleicht das Schwierigste: Jemandem mitten im Sprechfluss ins Wort zu fallen. Online fehlen einfach viele nonverbale Signale, die man in Live-Veranstaltungen hat. Gibt es aber nur 30 Minuten, und jede*r möchte etwas sagen, dann gebietet es allein die Wertschätzung der Zeit der anderen, dass man manchmal jemanden bremsen muss. Das kann – und muss! – man üben.
Kostenlos heißt nicht: weniger eigener Qualitätsanspruch.
Eigentlich habe ich mit diesem Angebot gegen mein eigenes „Prinzip kostenlos“ verstoßen, das unter anderem besagt, dass man nur das beliebig weiter Teilbare verschenkt – also beispielsweise Wissen in Artikeln oder Videos. Das Unteilbare, die eigene Zeit, muss dagegen immer kostenpflichtig sein. Aber: Das bezieht sich aber auf das professionelle Angebot. Ehrenamtliche Tätigkeiten und dergleichen sind ja auch unbezahlt und haben dennoch eine Berechtigung.
Deswegen war es für mich für einen begrenzten Zeitraum in Ordnung, die Morgenrunde anzubieten. Aber genau aus diesem Grund habe ich mich selbst mit eigenem fachlichem Input zurückgehalten. Aufwand hat das nicht wesentlich reduziert, aber es hat zumindest bei mir für klare innere Abgrenzung gesorgt. Denn: Das eigentlich Wertvolle sind die Zeit und die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden. Man kann ein solches Angebot, egal ob kostenpflichtig oder nicht, nicht mit halber Kraft fahren, sondern immer nur mit vollem Qualitätsanspruch.
Das Wesentliche ist für die Allgemeinheit weitgehend unsichtbar.
Jeden Morgen für eine halbe Stunde den Rechner im Videostudio anwerfen und ein Online-Meeting moderieren: Klingt nach relativ wenig Arbeit. Wer so in das Community-Building einsteigt, erlebt schnell eine böse Überraschung. Denn ein Großteil des Arbeitsaufwandes entsteht im Verborgenen, in Planung, Ideenfindung, Vor- und Nachbereitung; vor allem aber auch in Direktnachrichten: Denn viele Fragen und Anliegen kommen auf direktem Wege. Es sind sehr vertrauliche, oft bewegende persönliche Nachrichten dabei. Es kommen aber auch ganz einfache Fragen zu Funktionen, die eine einfache Google-Suche ebenfalls beantworten könnte.
Auch hier habe ich gelernt: Menschen sind sehr unterschiedlich. Es hat keinen Zweck, sich über Gedankenlosigkeit aufzuregen, wenn der- oder diejenige in Wirklichkeit in einer belastenden Situation keine freie Aufmerksamkeit besitzt und daher auf diese Weise nach Unterstützung sucht. Deswegen geschieht das Wesentliche nicht im für alle einsehbaren Raum. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für das Community-Building, sondern für alle Aktivitäten in sozialen Netzwerken.
Fazit: Erwarte nichts, und du bekommst sehr viel zurück.
Der größte Fehler, den man machen könnte, wäre ein solches Angebot mit Hintergedanken zu starten, mit bestimmten Erwartungen. Dankbarkeit beispielsweise ist etwas, das man nicht einfordern kann. Man kann auch nicht eine bestimmte Haltung oder Wertschätzung erwarten. Die eigene Sicht sollte man nicht auf andere projizieren. Daher ist es für die eigene Zufriedenheit so wichtig, sich die eigenen Motivationen klarzumachen. Ansonsten ist Enttäuschung programmiert.
Ohne Erwartungen dagegen war es auch für mich ein sehr einzigartiges Erlebnis. Es kam so viel Dankbarkeit zurück, positives Feedback und auch Rückmeldungen, die mich selbst überraschten. Wie viel ich auch an Erkenntnissen mitnehme, sehen Sie an diesem Beitrag.
Ich bin froh, dass ich meinem Impuls gefolgt bin. Vielen Dank an alle, die dazu beigetragen und daran mitgearbeitet haben.
Zitate: Was Mitglieder mitnehmen
Im Folgenden beschreiben einige Gruppenmitglieder und Teilnehmende der Morgenrunde in eigenen Worten, was sie mitgenommen haben. Die Zitate mit Namensnennung sind von den Urheber*innen ausdrücklich freigegeben worden.
Mir hat die Gruppe geholfen, früher im Büro zu sein. Normalerweise bin ich um 8.00 Uhr im Büro, am Anfang der Krise hab ich da ziemlich geschludert. Das ist wieder vorbei, Danke!
Mir haben die vielen Wissensgeschenke hier sehr, sehr gut gefallen. So freigebig, so ohne Werbung, so praxisbezogen – megahach!!!!
Und dann durfte ich euch meine Anfang März online gestellte Website zur Diskussion stellen! Euer Feedback war soooo hilfreich, gerade auch das der Männer (ein großer Teil meiner Kunden sind männlich) hat mich dazu bewogen, mein „Darling“ zu killen. Hat gar nicht weh getan.😆
Dann hast du den Morgentermin auf 8.00 verlegt und ich dachte, ok, das wars für mich. Doch was ist? Ich bin nach wie vor oft dabei und auch das tut gar nicht weh.
Ich habe hier ganz tolle Menschen neu oder wieder kennengelernt. andere Facetten erlebt und ganz wunderbare Telefonate geführt.
Ja, ich wäre auch ohne diese Gruppe klargekommen. Doch mit ihr bin ich reicher geworden. An Ideen, an Wissen, an Kontakten.
Mir ist ganz uneigennützig weitergeholfen worden – netzwerken at its aller-allerbest.
Also, ein dickes Danke dafür, dass du auf die Idee gekommen bist, diese Gruppe zu gründen und genau diese Menschen anzuziehen.“ – Martina Bloch
Dabei liebe ich Deinen unfassbaren Wortwitz gepaart mit fachlicher Kompetenz. Um so mehr finde ich es ganz schade, dass ich so lange gebraucht habe in der Morgenrunde dabei zu sein.
Danke für 3 inspirierende Wochen in dieser tollen Gruppe. Die Themen waren bereichernd, aber besonders beeindruckt hat mich deine liebevolle, aber auch glasklare Gruppenführung. Ich habe auf fachlicher aber auch persönlicher Ebene viel gelernt. Schön war es zu sehen wie viele unterschiedliche Persönlichkeiten in der Gruppe so wertschätzend mit einander umgegangen sind. Es war ein tolles Gefühl und hat für einen guten Start in den Tag geführt. Danke für dieses wertvolle Angebot und Danke, dass Du uns so viel von Deiner Zeit gegeben hast.“ – Bettina Hofmann
PS: LinkedIn ist (immer noch) nicht das neue Facebook
„LinkedIn ist das neue Facebook“, das hört man in letzter Zeit häufig. Vor allem für den professionellen Austausch verlagern sich viele Diskussionen, die vorher bei Facebook stattfanden, in das Businessnetzwerk LinkedIn. Diese Wahrnehmung teile ich. Doch im Bereich Gruppen kann ich aus persönlicher Erfahrung bestätigen, was viele andere auch beobachten: Bisher sind Facebookgruppen noch deutlich aktiver als LinkedIn-Gruppen. Hier ist es, zumindest im deutschsprachigen Raum viel schwieriger, konstant Aktivitäten zu erzeugen und Diskussionen anzuregen.
Die LinkedIn-Gruppe hatte ich gegründet, damit auch Menschen teilhaben können, die nicht bei Facebook angemeldet sind. Tatsächlich haben über LinkedIn auch etliche Personen in die Morgenrunde gefunden. Doch in der Gruppe selbst fand über meine Postings mit Themen- und Terminplänen hinaus nur sehr wenig Aktivität statt. Dies ist zugegebenermaßen eine persönliche Erfahrung, aber sie deckt sich mit vielen Erfahrungen, von denen mir andere berichten. Ich bin aber gespannt, wie sich dies in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird und kann mir gut vorstellen, dass es sich ändert.
- In 7 Phasen zum Corporate-Influencer-Programm (2): Ein starkes Kick-off - 2. Oktober 2024
- In 7 Phasen zum Corporate-Influencer-Programm (1): Vor dem Start - 25. September 2024
- Social CEO: So unterstützt die Unternehmenskommunikation den Erfolg - 11. September 2024
Liebe Kerstin,
vielen Dank für die lange Zusammenfassung, aus der ich auch noch mal etwas Gutes mitnehme. Zum Beispiel den Hinweis auf M. Granovetter.
Ich bin nicht so der Team-Typ, sondern mehr der introvertierte Alles-Selber-Macher. Deswegen war ich auch nur zwei-, drei Mal online dabei. Habe aber die Tipps in der FB-Gruppe verfolgt.
Corona hat sich auf mein Business eher positiv ausgewirkt, weil ich ganz schnell alles auf online umgestellt habe und das sehr gut angenommen wurde. Selbst Fortbildungen mache ich jetzt per Zoom.
Ich habe gelernt, dass eine Krise vieles möglich macht, was vorher von den Bedenkenträgern (den eigenen oder den fremden) lange diskutiert wird, bis der Zug fast abgefahren ist.
Deine Schaffenskraft bewundere ich. Dabei dachte ich immer, dass ich viel arbeite. ;-)
Herzlichen Gruß
Roland
Hut ab, das war eine tolle Sache und eine tolle Leistung, auch wenn ich es nur einmal geschafft habe, dabei zu sein: Danke dafür!